Chronicle, USA 2012 • 84 Min •Mit: Dane DeHaan, Alex Russell, Michael B. Jordan, Ashley Hinshaw • Regie: Josh Trank • FSK: Ab 12 Jahren • Kinostart: 19.04.2012 • Deutsche Website
Andrew (Dane DeHaan) ist ein Außenseiter wie er im Buche steht. Zu Hause leidet er unter seinem jähzornigen, trinkenden, arbeitslosen Vater, während seine Mutter sterbenskrank im Bett liegt. In der High School schafft er es nicht, Anschluss zu anderen zu finden. Lediglich mit seinem Cousin Matt (Alex Russell), der selbst durchaus populär ist, hat er Kontakt. Andrews Idee seine ganze Umwelt mit einer Kamera festzuhalten macht ihn auch nicht unbedingt beliebter. Jedoch ändert sich sein Leben schlagartig, als er sich von Matt überreden lässt auf eine Party mitzukommen. Zusammen mit Matt und dem High School Star Steve (Michael B. Jordan) macht Andrew eine Entdeckung. Eine blau glühende Substanz, die das Trio in einem Erdkrater findet, verleiht den Jugendlichen telekinetische Superkräfte. Die drei begreifen schnell, dass diese Kräfte, ähnlich einem Muskel, trainiert und somit ausgebaut werden können. Am Anfang begnügen sich die drei damit, einfach Späße zu treiben und ihre unwissenden Mitmenschen zu ärgern. Später gehen die Kräfte so weit, dass die drei über allen Wolken fliegen können. Doch während es für Matt und Steve immer einfach ein spaßiger Zeitvertreib bleibt, bringen die Superkräfte in Andrew eine dunkle Seite zum Vorschein. Sein Leben lang ständig schikaniert und nicht beachtet, lässt er sich nun nichts mehr gefallen.
Bereits in meiner Kritik zu Devil Inside habe ich über die Verbindung zweier erfolgreicher Trends in Hollywood gesprochen. War es dort eine Melange vom Exorzismus-Horror und dem "Found Footage"-Stilmittel, so wird in Chronicle letztere Zutat mit dem Superhelden Genre vermischt. Während die Traumfabrik alle möglichen Comicbuch Vorlagen auf der Suche nach neuen Hits abgrast, entstehen manchmal auch durchaus Filme über Menschen mit außergewöhnlichen Begabungen, die auf keiner bereits existierenden Vorlage basieren. So zum Beispiel Push, Hancock mit Will Smith und nun auch Chronicle. Hier enden aber auch die Ähnlichkeiten zwischen Devil Inside und Chronicle. Devil Inside ist ein absoluter Rohrkrepierer, der im Zuge des Erfolgs der Paranormal Activity Reihe entstand und einfach einen Teil vom Kuchen will. Chronicle hingegen ist ein überaus gelungener, innovativer und mit Hingabe inszenierter Streifen.
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Um eine Sache von vornhinein klarzustellen – Chronicle ist kein einfacher Superhelden-Film. Um genau zu sein, gibt es keine Superhelden hier, sondern nur Teenager, die durch einen Zufall besondere Kräfte erlangen, dabei aber nicht weiser oder verantwortungsvoller werden. Es gibt hier keine Einsicht à la Peter Parker, dass aus großer Kraft große Verantwortung folgt. Auch versuchen die drei Protagonisten nicht, mit ihren Kräften irgendwie Geld zu machen. Stattdessen begnügen sie sich mit Streichen, wie einem Typen im Laden einen Kaugummi aus dem Mund zu ziehen, die Röcke von Cheerleaderinnen durch einen Laubbläser hochwehen zu lassen oder ein Auto von seinem Parkplatz wegzubewegen (gefolgt von Steves selbstironischem Kommentar: „Ja, diesmal war es der Schwarze“) – typische Jungs eben, die gar nicht begreifen, was diese Kräfte ihnen ermöglichen.
Diese sehr gelungene Charakterzeichnung ist es auch, die dazu beträgt, dass der Film seine volle Wirkung entfalten kann. Abgesehen von der Tatsache, dass die High School Schüler hier (mal wieder) von Mittzwanzigern gespielt werden, wirken die drei Hauptcharaktere durchaus authentisch. Dies ist insofern wichtig, als das nur so den Zuschauer deren Schicksal interessiert. Als Andrew endgültig zur dunklen Seite abgleitet, verkommt er trotzdem nicht zu einem typischen Bösewicht, sondern zu einer sehr tragischen Figur. Parallelen zu den in den USA leider häufigen Amokläufen an Schulen oder Colleges sind eindeutig. Es sind nicht die Superkräfte, die Andrew schließlich über den Rand des Wahnsinns haben gleiten lassen. Es ging für ihn schon immer in diese Richtung, die neuen Kräfte machten es ihm einfach leichter. Auch wenn die Superkräfte anfangs die Bande zwischen ihm und den anderen beiden Jugendlichen stärken und er zum ersten Mal das Gefühl hat, so etwas wie Freunde zu haben, so ist sein Pfad ins Verderben dennoch ohne Umkehr. Aber nicht nur der Charakter von Andrew ist hier gut ausgearbeitet. Auch sein Cousin Matt, der zwar einerseits sich Andrew verpflichtet fühlt und ihn mag, andererseits aber nicht ständig die Bürde tragen will, ständig auf seinen sozial wenig kompetenten Cousin aufzupassen. Am Ende wird er vor ein viel größeres Dilemma gestellt. Natürlich ist es auch den gelungenen schauspielerischen Leistungen der beiden Darsteller zu verdanken, dass diese Figurenzeichnung funktioniert. Weiterhin gilt es anzumerken, dass der Film dies alles trotz einer Laufzeit schafft, die sich ohne den Abspann bei gerade 80 Minuten einpendelt. Zweifelsohne gibt es dabei reichlich Klischees und dennoch funktioniert es und stellt somit einen menschlichen Konflikt in den Vordergrund anstatt sich einfach in actionreichen Effektorgien zu verlieren.
Nichtsdestotrotz mangelt es dem Film nicht an guten Actionsequenzen und soliden Effekten. Man muss natürlich immer daran denken, dass dem Regisseur Josh Trank (der hier übrigens sein Debüt abliefert) nur ein relatives geringes Budget von $12 Mio zur Verfügung stand – bloß ein Bruchteil der Budgets von großen Hollywood-Produktionen. So ist es auch zu erklären, wieso die Fliegerei Szenen manchmal aussehen, wie Schauspieler, die an wegretuschierten Seilen baumeln. Davon abgesehen aber, kann sich der Film visuell durchaus sehen lassen und kommt in seinem furiosen Showdown, bei welchen das Seattle-Setting des Films gut genutzt wird, an die Actionszenen der großen Blockbuster heran.
Der „Found Footage“ Aspekt des Films ist hier hervorzuheben. Seit Blair Witch Project im Jahre 1999 diese neue Welle auslöste, gab es zwar einige sehr gelungene Vertreter des Stils ([Rec], Cloverfield), aber auch eine ganze Menge Gurken (Devil Inside, Apollo 18). Oft war der Einsatz dieser Technik einfach unnötig und funktionierte eher schlecht als recht. Dies ist bei Chronicle sicherlich nicht der Fall und dient direkt der Erzählweise. Es ist nun einmal passend, dass ein Film, dessen Hauptcharaktere zur YouTube– und Facebook-Generation gehören, die ihr Privatleben gerne dokumentiert und so wenig privat wie möglich haben wollen, gerade dies als Ansatzpunkt nimmt. Eine häufige Schwäche bei den "Found Footage"-Filmen ist es, dass es ab irgendeinem Punkt keinen Sinn macht, dass die Charaktere (trotz akuter Lebensgefahr) weiter filmen. In Chronicle hingegen sind die Hauptcharaktere darüber begeistert, ihre Fähigkeiten auf Kamera festzuhalten. Sogar als Steve fast von einem Passagierflugzeug getötet wird und von Andrew nur knapp gerettet wird, ist sein erster Satz: "Please tell me you got that on tape!". Die verschiedenen Winkel können hier durch die Kamera problemlos eingenommen werden, da Andrew die Kamera dank seiner Kräfte die ganze Zeit in der Luft schweben lässt, sodass wir tatsächlich alle Charaktere sehen und nicht einer sich die ganze Zeit hinter der Kamera verstecken muss. Ferner bietet hier der Ansatz die Möglichkeit das ganze aus der Perspektive des "Bösewichts" zu sehen, denn bis zum Finale ist es Andrew, der fast alle Ereignisse filmt. Es ist eine sehr ungewöhnliche Perspektive und macht Andrews Abstieg in die Finsternis besser nachvollziehbar. Letztlich am Ende, wo auch Überwachungskameras zum Einsatz kommen, zeigen sich erneut die Probleme der "Found Footage"-Filme, da der Zuschauer deutlich bessere Bilder und vielfältigere Einstellungen bekommt, als es realistisch in der Situation möglich wäre. Aber schließlich möchte man ja auch gut unterhalten werden und dieses nur schwer lösbare Problem kann man gut verschmerzen.
Cloverfield war der erste Film, der einen Stoff, welcher normalerweise als großer Hollywood-Blockbuster verfilmt wird, in ein neues Gewand verpackte und zeigte, was mit heutigen technischen Mitteln möglich sei. Chronicle führt dies nahtlos weiter fort und liefert einen der besseren Superhelden-Filme der letzten Jahre und das gänzlich ohne eine bekannte Vorlage, große Stars oder ein Riesenbudget. Finanziell hat sich das Experiment hier mehr als ausgezahlt und da das Superhelden-Genre sehr fortsetzungsaffin ist, sollte es nicht wundern, wenn wir demnächst einen Nachfolger oder zumindest Nachahmer sehen werden.
Chronicle ist ein sehr würdiger Beitrag zum Superhelden-Genre. Gute Schauspieler, eine spannende Inszenierung und flotte Actionszenen lassen über einige dramaturgische Schwächen und die üblichen Probleme der "Found Footage"-Filme hinwegsehen.